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F A C H H O C H S C H U L E    W E D E L

 

Seminararbeit Thermodynamik, Energie und Umwelt

 

in der Fachrichtung

Physikalische Technik

 

Thema:

Thermodynamik irreversibler Prozesse

 

 

Eingereicht von:

Udo Becker
Breiter Weg 98
22880 Wedel
Tel. 04103-15422

Erarbeitet im: 6. Semester

Abgegeben am: 3. Januar 1996

Referenten:

Prof. Dr. Michael Anders und
Prof. Dr. Iven Pockrand

 

Inhalt

Inhalt   Anfang

1. Einleitung

Die Gleichgewichts-Thermodynamik gibt nur Antwort auf die Fragen nach der Lage eines Gleichgewichtes und ob ein Vorgang thermodynamisch möglich ist oder nicht. Darüber hinaus gehende Fragen lassen sich mit ihrer Hilfe nicht beantworten. Die Zeit spielt in der Gleichgewichts-Thermodynamik keine Rolle. Man erhält keine Antwort auf die Frage, welcher Vorgang schnell oder langsam abläuft.

Hier setzt die Thermodynamik irreversibler Prozesse an. Es werden Vorgänge in Systemen betrachtet, die sich nicht im thermodynamischen Gleichgewicht befinden. Beispiele für irreversible Prozesse sind der Temperaturausgleich, der Konzentrationsausgleich durch Diffusion, die innere Reibung oder die chemische Stoffwandlung.

Die Thermodynamik irreversibler Prozesse beschäftigt sich mit der Anwendung thermodynamischer Methoden auf dynamische (zeitabhängige) Vorgänge. Sie entstand 1931 mit Onsagers thermodynamischer Deutung der Reziprokenrelation und ihrer statistischen Herleitung. Ihre Blütezeit begann 1945 in Brüssel mit den Arbeiten von Prigogine über nicht-lineare Thermodynamik, in denen Themen wie Stabilitäts-kriterien, oszillierende Reaktionen, dissipative Strukturen und die biologische Evolution im Vordergrund standen. Onsager erhielt den Nobelpreis 1968, Prigogine 1977.

Für die Beschreibung irreversibler Prozesse, z.B. für den Wärmeausgleich zwischen zwei Punkten unterschiedlicher Temperatur, sind räumlich und zeitlich variable Zustandsfunktionen einzuführen. In der Gleichgewichts-Thermodynamik werden die extensiven Zustandsgrößen einem System als ganzes zugeordnet, nicht jedoch einzelnen Punkten. Der Übergang zur Thermodynamik irreversibler Prozesse erfolgt durch Unterteilung des Systems in Teilsysteme. Ein Teilsystem muß einerseits so klein sein, daß seine einzelnen Punkte in ihren Eigenschaften und Zuständen nicht merklich voneinander abweichen. Es muß andererseits noch so groß sein, daß statistische Gesetze gelten, d.h. atomistische Effekte nicht hervortreten.

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2. Grundbegriffe

2.1. Entropieproduktion

2.1.1. Definition

Die Entropie ist eine Zustandsfunktion. Nach der Clausiusschen Ungleichung gilt für einen beliebigen Vorgang

.

Dabei steht das Zeichen > für eine spontan ablaufenden Vorgang und das Zeichen = für einen reversiblen Vorgang.

Bei jeder Zustandsänderung kann die Entropieänderung eines Systems additiv in einen Anteil zerlegt werden, der sich aufgrund des Stoff- und Energieaustausches mit der Umgebung ergibt, und einen Anteil , der auf innere Prozesse, z.B. Temperaturausgleich, zurückzuführen ist.

Nach dem zweiten Hauptsatz gilt stets

mit dem Gleichheitszeichen für Gleichgewichtsprozesse und dem Größerzeichen für alle realen Prozesse. kennzeichnet zu- oder abströmende Entropie. Für ein abgeschlossenes System gilt = 0 und damit

.

ist der Teil der Entropieänderung, der bei dem Prozeß erzeugt wird und demnach ein Maß für die Irreversibilität eines Prozesses.

Im Gegensatz zur Gleichgewichts-Thermodynamik spielt die Zeit in der irreversiblen Thermodynamik eine wichtige Rolle. Es ist möglich, Zustandsfunktionen und andere Größen nach der Zeit zu differenzieren und Gesetzmäßigkeiten zwischen den Ableitungen nach der Zeit herzuleiten. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei der Entropieproduktion zu:

,

denn jede Analyse eines irreversiblen Prozesses beginnt mit der Aufstellung einer Formel, die die Entropieproduktion bei diesem Prozeß beschreibt. Die Entropie-produktion gibt die auf die Zeiteinheit bezogene Entropiezunahme in einem System durch innere Prozesse an.

Die Zustandsgrößen der Energie und die Entropie sind in einigen Fällen auf die Masseneinheit (kg) oder auch auf ein Mol bezogen. Bei irreversiblen Prozessen, bei denen sowohl Stoff als auch Energieaustausch stattfinden kann, ist es in diesen Fällen zweckmäßig, die Entropieänderung auf die Volumeneinheit zu beziehen. Hieraus ergibt sich , die Entropie je Volumeneinheit, in J . Die zeitliche Ableitung hieraus ergibt die Entropieproduktion , hier mit der Dimension Energie pro Zeit, Volumen und Temperatur. Diese Größe wird auch als Quelldichte der Entropie bezeichnet.

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2.1.2. Entropieproduktion bei Temperaturausgleich

Ein irreversibler Prozeß, der besonders leicht zu behandeln ist, ist der Temperaturausgleich. Es soll ein abgeschlossenes System betrachtet werden, das aus zwei Wärmereservoiren mit den Temperaturen und besteht.

Abbildung 1: Zwei wärmeleitend miteinander verbundene Teilsysteme

Die beiden Reservoire sind so miteinander verbunden, daß zwischen ihnen Wärmeleitung möglich ist. Es wird > angenommen, und es soll die Wärmemenge Q von dem Reservoir 1 in das Reservoir 2 fließen. Die Wärmereservoire sollen aber so groß sein, daß sich ihre Temperatur bei diesem Prozeß nicht merklich ändert. Jetzt läßt sich berechnen, wie sich bei dem Prozeß die Entropie in den beiden Reservoiren ändert: Weil und konstant sind, resultiert für das Reservoir 1

und für das Reservoir 2

.

Nach Voraussetzung ist das System insgesamt abgeschlossen, folglich ist = 0, und die mit der Wärmeleitung verbundene Entropieänderung des Systems kann mit der Gleichung

beschreiben werden, aus der folgt

.

Für differentielle Wärmeübergänge dQ erhält diese Gleichung die Form

.

Differentiation nach t liefert die Entropieproduktion im System:

.

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2.2. Entropiestromdichte / Bilanzgleichung der Entropie

Um die durch Strömungs- und Austauschprozesse bewirkte Entropieänderung zu erfassen, wird die Entropiestromdichte eingeführt. Sie gibt die durch die Fläche A fließende Entropie, bezogen auf die Zeit- und Flächeneinheit an. Kennzeichnet die Entropiezunahme durch Austauschprozesse, bezogen auf die Volumen- und Zeiteinheit, so besteht für das Volumen V mit der Oberfläche A die Beziehung

.

Der Vektor weist aus dem Gebiet V heraus, d.h. abfließende Entropie bewirkt in V Entropieabnahme oder negativen Entropiezuwachs. Mit Hilfe des Gausschen Satzes erhält man

und damit aus dem Vergleich der Integranten und aufgrund der Definition der Entropieproduktion

.

Für die Entropiezunahme

bei irreversiblen Prozessen in einem nichtabgeschlossenen System folgt aufgrund der Definitionsgleichung der Entropieproduktion und der Definition der Entropie-stromdichte

.

Darin gibt die Entropiezunahme je Kubikmeter und je Sekunde an, kenn-zeichnet in gleicher Weise die Entropieproduktion, die allein durch innere Prozesse erfolgt. bedeutet die Entropie je Kubikmeter, die strömende Entropie je Quadratmeter und je Sekunde.

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2.3. Thermodynamische Flüsse und Kräfte

2.3.1. Definition

Jeder Prozeß setzt sich aus einzelnen Teilprozessen zusammen. Die Entropie-produktion s eines komplexen Prozesses folgt additiv aus Entropieproduktionen der einzelnen Teilprozesse. Faßt man die Entropieproduktion eines Teilprozesses als Produkt eines generalisierten thermodynamischen Flusses und einer generalisierten thermodynamischen Kraft auf, so erhält man für die Entropieproduktion des komplexen Prozesses

und können Skalare, Vektoren oder Tensoren sein. Dementsprechend erfolgt die Verknüpfung der beiden Größen durch die einfache Multiplikation, die skalare Multiplikation oder durch die doppelte Kontraktion. Die Einheiten von und können je nach Teilprozeß unterschiedlich sein, das Produkt hat in jedem Fall die Dimension Energie pro Zeit und Temperatur. Wenn die Flüsse und Kräfte zusammengehören, d.h. ihr Produkt die Entropieproduktion ergibt, so spricht man von korres-pondierenden Flüssen und Kräften.

Als thermodynamischen Fluß erhält man im allgemeinen die Ableitung einer physikalischen Meßgröße nach der Zeit. Im Beispiel des Temperaturausgleiches wäre das

.

Die hierzu korrespondierende thermodynamische Kraft, die den Fluß hervorruft, wäre demnach

.

Die Zerlegung der Entropieproduktion in ein Produkt aus Fluß und Kraft ist jedoch nicht immer eindeutig. Ein Hilfsmittel zum erkennen der Flüsse und Kräfte bietet die Überprüfung auf Zeitinversion. Die beiden Faktoren J und X unterscheiden sich voneinander in grundsätzlicher Weise. Läßt man den Vorgang in Gedanken rückwärts ablaufen, so kehrt ein Faktor sein Vorzeichen um. Solche Größen werden als thermodynamische Flüsse bezeichnet. Der andere Faktor, der Koeffizient der thermodynamischen Flusses in der Entropieproduktion, ändert sein Vorzeichen nicht. Solche Größen werden als thermodynamische Kräfte bezeichnet. Thermodynamische Kräfte sind gegenüber Zeitinversion invariant.

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2.3.2. Beispiel Elektrischer Strom

In der Thermodynamik irreversibler Prozesse werden Gleichungen betrachtet, die dynamische Vorgänge beschreiben. Auch das Ohmsche Gesetz beschreibt einen dynamischen Vorgang. Schreibt man es in der Form

,

so ergibt die Leistung mit der Dimension Energie pro Zeit. Unter der Leistung P versteht man die in der Zeiteinheit umgesetzte Energie, P ist also gleich der in der Zeiteinheit produzierten Ohmschen Wärme, und es gilt

.

Die Entropieproduktion ergab sich aus der zeitlichen Ableitung der Entropieänderung, also aus der zeitlichen Ableitung des Quotienten Q/T. Die Ableitung dQ/dt ist schon vorhanden, es muß nur noch durch die Temperatur geteilt werden.

.

Die zum Fluß I korrespondierende Kraft ist also der Quotient U/T.

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2.3.3. Diffusion

Hier soll von der Gibbsschen Hauptgleichung ausgegangen werden:

.

Findet in einem abgeschlossenem System Diffusion statt, so ist dU = 0 und dV = 0, und die Gibbssche Hauptgleichung reduziert sich auf

.

Wandert eine Substanz i von einem Ort, an dem ihr chemisches Potential den Wert hat, zu einem Ort mit dem chemischen Potential so ist damit die Entropie-änderung

verbunden. Die Entropieproduktion erhält man, wenn man die Differentiale zu den Differentialquotienten nach der Zeit ergänzt:

.

Damit sind die Flüsse und Kräfte

und .

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2.3.4. Korrespondierende Flüsse und Kräfte

In der folgenden Zusammenstellung sind die korrespondierenden thermodynamischen Flüsse und Kräfte für einfache irreversible Prozesse gegenübergestellt. Die Dimensionen wurden mit aufgenommen, um deutlich zu machen, daß die Flüsse und Kräfte je nach Vorgang unterschiedliche physikalische Bedeutungen haben, ihr Produkt jedoch immer die Entropieproduktion mit der Dimension Energie pro Zeit und Temperatur ergibt. Ein thermodynamisches System kann man so auffassen, das die thermo-dynamischen Kräfte auf die korrespondierenden thermodynamischen Flüsse wirken.

Vorgang

Flüsse

 

Kräfte

 
   

Einheit

 

Einheit

Temperatur-
ausgleich

 

 
 

 

Expansion

 

 
 

 

Diffusion

 

 
 

 

Chemische Reaktion

 

 
 

 

Elektrischer Strom

I

 

 
 

A

 

Tabelle 1: Korrespondierende thermodynamische Flüsse und Kräfte

Bei der chemischen Reaktion bedeutet die Affinität, steht für die Reaktionsgeschwindigkeit.

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3. Lineare / nicht-lineare Prozesse

3.1. Zustand nahe des thermodynamischen Gleichgewichtes

Im Thermodynamischen Gleichgewicht verschwinden die thermodynamischen Flüsse und Kräfte, demzufolge wird die Entropieproduktion im Gleichgewicht zu Null. Wird das Gleichgewicht gestört, so wachsen die Flüsse zunächst proportional zu den Kräften. Dies ist der Fall, wenn sich die Zustände der Teilsysteme, zwischen denen Austauschprozesse stattfinden, nicht allzu stark voneinander unterscheiden. Man erhält also eine lineare Verknüpfung, hierbei spricht man von der Thermodynamik linearer irreversibler Prozesse. Solange diese lineare Verknüpfung gilt, befindet sich ein System in einem Zustand nahe dem thermodynamischen Gleichgewicht.

Die lineare Verknüpfung lautet:

Dies ist eine phänomenologische Gleichung, sie wird auch als Materialgleichung des Systems bezeichnet.

L ist hierbei ein phänomenologischer Koeffizient oder auch Transportkoeffizient des Systems. Er muß stets positiv sein, da die Verknüpfung von J und X eine Vermehrung der Entropie, also eine positive Entropieproduktion, nach sich zieht. Der phänomenologische Koeffizient hängt von bestimmten Systemparametern ab, nicht jedoch von den Flüssen und Kräften selbst. Er läßt sich atomistisch berechnen und steht somit auch für eine physikalische Bedeutung, z.B. für den Diffusions-koeffizienten D, für die thermische Leitfähigkeit l oder für die elektrische Leitfähigkeit s.

Abbildung 2: Entropie S und Entropieproduktion s in der Nähe des thermo- dynamischen Gleichgewichtszustandes

Abbildung 3: Lineare Verknüpfung der thermodynamischen Flüsse und Kräfte in der Nähe des thermodynamischen Gleichgewichtszustandes

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3.2. Zustand weitab vom thermodynamischem Gleichgewicht / Bildung dissipativer Strukturen

Gegenstand der physikalischen Untersuchung zur Strukturbildung sind die Gesetze über die Bildung und die Funktion der hochentwickelten Organismen in der gesamten Natur. Von besonderer Bedeutung ist die Frage der Entstehung lebensfähiger Zellen aus der unbelebten Materie, d.h. der Bildung sich selbst reproduzierender, miteinander konkurrierender und sich weiterentwickelnder Organismen.

In den Entwicklungsgesetzen der Physik und der Biologie tritt eine grundlegende Gegensätzlichkeit auf. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik postuliert aufgrund der Erfahrung die Zunahme der Entropie eines abgeschlossenen Systems bis zu einem Extremwert. Der Anstieg der Entropie eines Systems bedeutet, daß sein Ordnungsgrad abnimmt. Nach der Evolutionstheorie von Darwin ist dagegen aufgrund des Selektionsprinzips, d.h. der Auswahl und Durchsetzung im Konkurrenz-kampf der Organismen, die Entwicklung biologischer Systeme durch die Zunahme ihres Ordnungsgrades gekennzeichnet. Mit der Aufklärung dieses Widerspruches hat sich eine Vielzahl von Arbeiten, unter anderen der von Prigogine, beschäftigt.

Die Bildung von Strukturen hohen Ordnungsgrades erfolgt in offenen Systemen, d.h. in Systemen, die mit ihrer Umgebung Stoff und Energie austauschen können.Sie befinden sich bei der Strukturbildung weitab vom thermodynamischen Gleichgewicht mit ihrer Umgebung. Die lineare Verknüpfung zwischen den thermodynamischen Flüssen und Kräften ist im Zustand weitab vom thermodynamischen Gleichgewicht nicht mehr gültig. Statt dessen gelten nicht-lineare Gesetzmäßigkeiten mit den daraus folgenden qualitativen Veränderungen gegenüber den Verhältnissen nahe dem Gleichgewicht. Man spricht hier von der Thermodynamik nicht-linearer irreversibler Prozesse.

Das offene System verändert im Laufe eines Prozesses seine Entropie nach der Bilanzgleichung der Entropie

Darin bedeutet die Entropie je Volumeneinheit, die Dichte des Entropiestromes und die aufgrund des zweiten Hauptsatzes produzierte Entropie, bezogen auf die Raum- und Zeiteinheit. In Übereinstimmung mit dem zweiten Hauptsatz kann sich die Entropie des offenen Systems verringern und somit die Bildung von Strukturen höheren Ordnungsgrades erfolgen.

Der durch einen gleichmäßigen Strom von Energie, Stoff und Entropie aufrechter-haltene Zustand eines offenen Systems, das mit seiner Umgebung nicht im Gleich-gewicht steht, gegenüber kleinen Störungen und statistischen Schwankungen aber stabil ist, heißt Fließgleichgewicht. Dieser stationäre Gleichgewichtszustand unter-scheidet sich vom Gleichgewichtszustand der bisher betrachteten thermo-dynamischen Systeme, der als statischer Gleichgewichtszustand bezeichnet wird. Wegen der insgesamt erfolgten Entropiezunahme werden die in einem Fließgleichgewicht gebildeten Strukturen nach Prigogine als dissipative Strukturen bezeichnet.

Der Prozeß der Strukturbildung in einem Fließgleichgewicht kann, da er weitab vom statischen thermodynamischen Gleichgewicht erfolgt, nicht durch lineare Ansätze beschrieben werden. Die zu verwendenden mathematischen Gleichungen sind im allgemeinen nicht-linear. Nicht-lineare Gleichungen enthalten in der Regel mehrere stationäre Lösungen. Maßgeblich für die Herausbildung einer dissipativen Struktur ist ihre Stabilität gegenüber kurzzeitigen, in ihrer Intensität begrenzten Störungen. Diese unter dem Einfluß stochastischer Störungen ablaufenden Prozesse treten ohne Rückwirkung auf, d.h. sie sind nur vom gegenwärtigen Zustand abhängig. Solche Prozesse heißen Markow-Prozesse. Führen sie zu Fluktuationen, die sich mit der Zeit verstärken, so ist die Struktur instabil. Klingen die Schwankungen ab, so liegt eine stabile Struktur vor.

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4. Formalismus der Thermodynamik irreversibler Prozesse

Im Folgenden soll als Zusammenfassung die Vorgehensweise zur Beschreibung irreversibler Prozesse aufgelistet werden. Diese Methode ist die klassische Thermo-dynamik irreversibler Prozesse. Sie besteht aus folgenden Schritten:

  1. Man stelle alle im betrachteten System ablaufenden Vorgänge und die sie beschreibenden Größen zusammen.

  2. Man formuliere die thermostatischen Zustandsgleichungen als Beziehungen zwischen den thermodynamischen Größen des Systems.

  3. Man entwickle den ersten Hauptsatz (und evtl. andere Erhaltungssätze) für das System.

  4. Danach berechne man die Entropieproduktion im System.

    Diese kann stets als Summe von Thermen dargestellt werden, von denen jeder einen gegen Zeitinversion nicht invarianten Faktor enthält. Diese Faktoren sind per Definition die thermodynamischen Flüsse des Systems. Die Koeffizienten der thermodynamischen Flüsse in der Entropieproduktion heißen per Definition die thermodynamischen Kräfte des Systems.

  5. Man fasse die thermodynamischen Flüsse als Funktionen der thermo- dynamischem Kräfte auf. Diese Beziehungen heißen Materialgleichungen des Systems. Unterscheiden sich die thermodynamischen Zustände in den verschiedenen Teilen des Systems, zwischen denen Austauschvorgänge auftreten, nicht zu stark voneinander, so können die Beziehungen zwischen Flüssen und Kräften linearisiert werden. Die Entwicklungskoeffizienten heißen Transportkoeffizienten des Systems. Sie müssen der Forderung nach positiver Entropieproduktion genügen.

  6. Die Materialgleichungen bilden zusammen mit den Erhaltungssätzen und den thermostatischen Beziehungen ein vollständiges Gleichungssystem. Zu seiner eindeutigen Lösung muß der Anfangszustand des Systems bekannt sein.

Die klassische Thermodynamik irreversibler Prozesse hat sich als phänomenolo-gische Methode bei der Beschreibung zahlreicher Vorgänge in kontinuierlicher Materie bewährt. Als Beispiel seien Wärme- und Elektrizitätsleitung, Diffusion, innere Reibung und chemische Reaktion sowie deren Kreuzeffekte, wie z.B. Thermo-diffusion, der Diffusions-Thermo-Effekt und Vorgänge der Elektrochemie genannt. Ferner können zahlreiche Vorgänge in anisotropen Medien, in Systemen, die sich in elektromagnetischen Feldern befinden, Vorgänge an Oberflächen bzw. Phasen-grenzen sowie Vorgänge mit inneren Umwandlungen, wie sie etwa in hochpolymeren Kunststoffschmelzen auftreten, in methodisch einheitlicher Weise beschrieben werden.

Bei allen Erfolgen der Theorie sollte aber nicht übersehen werden, daß es noch eine Reihe von Erscheinungen gibt, welche sie nicht beschreiben kann. Beispiele dafür sind Hystereseerscheinungen wie z.B. der Ferromagnetismus oder die Ferroelektrizität, ferner die Plastizität sowie Vorgänge in Stoßfronten und Mehrphasensystemen.

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5. Literaturverzeichnis
  1. P.W. Atkins
    Physikalische Chemie
    S. 832 ff
    VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim
    1. Auflage, 1988

  2. H. Schilling
    Wärme und Energie
    S. 193 ff
    VEB Fachbuchverlag Leipzig
    1. Auflage, 1984

  3. J.U. Keller
    Thermodynamik irreversibler Prozesse
    Teil 1: Thermostatik und Grundbegriffe
    S. 445 ff
    Walter de Gruyter, Berlin
    1. Auflage, 1977

  4. G.M. Barrow
    Physikalische Chemie
    Teil III: Thermodynamische und kinetische Behandlung chemischer Reaktionen
    S. 205
    Bohmann Verlag, Wien
    6. Auflage, 1984

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13. August 2000, Udo Becker